RAMEAU, Jên-Philippe. Castor und Pollux, Tragödie in Musik gesetzt. Paris, Prault, Boivin, Leclair, Duval und beim Autor, o.J. [1737].
Querformat In-4 bestehend aus einem Titel und 193 Seiten gravierter Partitur, mit eingebundenem Libretto. In blondem Kalbsleder gebunden, Rücken mit Bünden verziert. Einband der Zeit.
320 x 240 mm.
Seltene Originalausgabe des Meisterwerks von Jên-Philippe Ramêu, das zum ersten Mal am 24. Oktober 1737 aufgeführt wurde.
« Lyrische Tragödie in fünf Akten und einem Prolog, Libretto von Pierre-Joseph Bernard, Musik von Jên-Philippe Ramêu (1683-1764), aufgeführt am 24. Oktober 1737. Nach dem Erfolg vonHippolyte et Aricie und seiner zweiten Oper: Les Indes galantes, nach einem mittelmäßigen Libretto von Fuzelier (1735), wandte sich Ramêu an P.J. Bernard für ein neues Thema, und diesmal war er mit seiner Wahl glücklicher; der Autor des Librettos, ohne ein sehr großer Dichter zu sein, konnte dem Musiker ein gut konstruiertes, reichhaltiges und charmantes Libretto bieten. In den Abenteuern von Castor und Polluxführte Bernard die Liebe der beiden Brüder zu derselben Frau, Telaïre, ein und schuf so einen sentimentalen Konflikt, der zu lyrischen und dramatischen Situationen führte. Außerdem bot dieses Libretto dem Musiker aus szenischer Sicht zahlreiche abwechslungsreiche Episoden: eine Trauerszene, die Ankunft der siegreichen Athleten im ersten Akt, der Tanz der Freuden im zweiten, der Abstieg in die Unterwelt im dritten, die Elysischen Felder und der Chor der Schatten der Seligen im vierten, die Erscheinung von Jupiter inmitten der Sternbilder, wo Castor und Pollux ihren Platz einnehmen, im fünften Akt.
Musikalisch betrachtet gilt Castor und Pollux als das Meisterwerk von Ramêu. Unter den schönsten Seiten muss der Chor „Que tout gémisse“ und die Arie „Tristes apprêts“ erwähnt werden, das getanzte Menuett „Dans ces doux asiles“, die Szene der Unterwelt, die der Elysischen Felder, wo sich die Arie von Castor entfaltet, unterstützt von einem sehr feinen und für die Zeit überraschenden orchestralen Gewebe. Die musikalische Dichte dieser Oper steht im Einklang mit den Qualitäten des Stils; Klarheit, Einfachheit, Ausdruck, wesentliche Merkmale von Ramêus Kunst, sind Elemente, die sich gegenseitig verstärken. Ramêu erweist sich als ausgezeichneter Harmoniker, insbesondere in der Begleitung der Rezitative: die Deklamation besitzt einen persönlichen Ton und Charakter und ähnelt in ihrer Struktur derjenigen von Lulli; aber die Unterstützung der Gesangslinie beschränkt sich nicht auf eine Reihe von Kadenzen, sondern besteht aus einer reichen und abwechslungsreichen Musik, bei der geschickte und häufige Modulationen dem Gesang ermöglichen, den Anforderungen des Textes zu entsprechen.
Selbst der Akkord wird von Ramêu in seiner expressiven Funktion betrachtet; er verwendet die Dissonanz sehr effektiv, um ein Wort oder einen Akzent zu betonen. Eine deutliche italienische Einflusnahme ist in der Form der Arien und im Schreiben der Gesangslinien zu erkennen. Ramêu wechselt zwischen französischen binären Arien und italienischen Arien mit ihrem „à la ligne“. Diese geniale Kombination ermöglicht es dem Autor, ganz persönliche Muster zu schaffen, und verleiht dem Gesamtwerk einen Charakter von Adel, ausdrucksstarker Größe und Strenge. Die „Divertissements“, die in Castor et Pollux siebzehn an der Zahl sind, bieten dem Musiker außerdem die Möglichkeit, eine „symphonische“ Sprache zu schaffen, in der sich die krêtive Kraft manchmal sanft, manchmal kraftvoll, besinnlich oder leidenschaftlich, aber immer spontan und ausgeglichen manifestiert. Schließlich sind die Chöre für den Komponisten ein schlichtes, aber farbenfrohes Ausdrucksmittel, so lebendig wie seine vokalen und instrumentalen Melodien. In dieser Oper entspricht die Besetzung des Orchesters derer der damaligen Zeit; Streicher, Flöten, Oboen, Fagotte, Trompeten und Pauken. In seiner Orchestrierung zeigt sich Ramêu besorgter als seine Vorgänger, eine Unabhängigkeit der Klangfarben zu erreichen; er legt besonderen Wert darauf, den Klang der Akkorde zu erforschen, je nach den für jede Note verwendeten Klangfarben. Berücksichtigt man die Tatsache, dass in seiner Zeit die Merkmale und Nuancen der Klangfarben als reine Accessoires galten, hat diese Ahnung der zukünftigen Entwicklungen in der Orchestrierung eine gewisse Bedeutung.
Diese Oper verblieb 47 Jahre lang im Repertoire der Aufführungen; um 1770 schrieb Grimm: ‘Castor et Pollux’, das ist der Pfeiler, auf dem der Ruhm der französischen Musik ruht‘ ». (Dictionnaire des Œuvres, I, 581-582).
Wertvolles Exemplar dieser seltenen Oper, erhalten in ihrem zeitgenössischen hellbraunen Kalbsleder-Einband.
Unter den französischen öffentlichen Einrichtungen scheint nur die Bibliothek von Amiens dieses Original zu besitzen.